Bis zum Eintreffen der Europäer gab es keinen Anlass, einen übergreifenden
Begriff für die Bevölkerung des amerikanischen Kontinents zu bilden. Die
Eigenbezeichnung vieler Gemeinschaften ist häufig einfach gleichbedeutend mit ‚Mensch‘.
Der Begriff ‚Indianer‘ ist eine Fremdbezeichnung der kolonialen europäischen Eroberer
und wird von den damit gemeinten Mitgliedern der indigenen Bevölkerung abgelehnt
oder zumindest gemieden.
1982 wurde erstmals offiziell der Begriff ‚First Nations‘ bei
der Benennung der Versammlung der First Nations benutzt. Er bezeichnet alle
indigenen Völker in Kanada, außer den Métis (Nachkommen von Cree und Europäern)
und den Inuit. Sollen diese ebenfalls eingeschlossen werden, wird z.B. von ‚First
Peoples‘ gesprochen.
Obwohl der Begriff ‚First Nations‘ auch von den kanadischen
Behörden verwendet wird, ist er juristisch nicht genau festgelegt. Die
zuständigen Behörden bevorzugen in Rechtsfragen die Bezeichnung ‚Indianer‘,
auch das zuständige Ministerium heißt ‚Department of Indian Affairs and
Northern Development‘.
Wer ein Indianer ist, wird rechtlich exakt seit 1876 durch
den Indian Act vom Staat definiert. Um als
Indianer staatlicherseits anerkannt zu werden, muss man einem der anerkannten
Indianerstämme angehören. Ausschlaggebend für die Bestimmung der
Stammeszugehörigkeit durch den Staat ist die patrilineare Abstammung, auch wenn
die First Nations selber teilweise die matrilineare Abstammung als relevant
betrachten.
Am Begriff Status Indian hängt eine Anzahl von Rechten und
Ansprüchen gegenüber der Regierung. Diese beziehen sich auf Landrechte,
materielle Zuwendungen und Schutz vor Enteignungen. Von den rund 700.000
Menschen, die sich als Mitglieder der First Nations verstehen, zählen etwa
565.000 zu den 617 vom Staat anerkannten Stämmen (Stand: Anfang 2014), von
denen allein fast 200 in British Columbia leben. Etwa 133.000 gehören keinem
Stamm an, gehören also zu den First Nations und sind dennoch im juristischen
Sinne keine Indianer.
Der staatlichen Definitionsgewalt soll mit dem Begriff First
Nation ein eigenes Verständnis entgegengesetzt werden. Dieses besteht darin,
dass jeder Stamm selbst bestimmt, wer ihm angehören soll, und dass die
Anerkennung als Stamm nicht von einer staatlichen Behörde abhängt. Somit gibt
es zahlreiche First Nations, die nicht offiziell als Stämme gelten.
Gleichzeitig wird der Charakter einer souveränen Nation mit allen Rechten und
Pflichten stärker betont. Eine Nation kann sich auf das Völkerrecht berufen,
eine ethnische Gruppe nur auf Minderheitenschutz.
Als nationales Repräsentationsorgan
fungiert die Versammlung der First Nations. Die Ziele der Organisation sind die
Wahrung der Rechte, Vertragsbedingungen und Forderungen der First Nations. Die
Anführer der First Nations treffen sich einmal jährlich, um die politischen
Richtlinien in Resolutionen festzulegen. Diese Versammlung hat für die First
Nations neben der politischen auch eine starke kulturelle Bedeutung.
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