Sonntag, 16. August 2015

Der Begriff ‚First Nations‘


Bis zum Eintreffen der Europäer gab es keinen Anlass, einen übergreifenden Begriff für die Bevölkerung des amerikanischen Kontinents zu bilden. Die Eigenbezeichnung vieler Gemeinschaften ist häufig einfach gleichbedeutend mit ‚Mensch‘. Der Begriff ‚Indianer‘ ist eine Fremdbezeichnung der kolonialen europäischen Eroberer und wird von den damit gemeinten Mitgliedern der indigenen Bevölkerung abgelehnt oder zumindest gemieden.
1982 wurde erstmals offiziell der Begriff ‚First Nations‘ bei der Benennung der Versammlung der First Nations benutzt. Er bezeichnet alle indigenen Völker in Kanada, außer den Métis (Nachkommen von Cree und Europäern) und den Inuit. Sollen diese ebenfalls eingeschlossen werden, wird z.B. von ‚First Peoples‘ gesprochen.
Obwohl der Begriff ‚First Nations‘ auch von den kanadischen Behörden verwendet wird, ist er juristisch nicht genau festgelegt. Die zuständigen Behörden bevorzugen in Rechtsfragen die Bezeichnung ‚Indianer‘, auch das zuständige Ministerium heißt ‚Department of Indian Affairs and Northern Development‘.
Wer ein Indianer ist, wird rechtlich exakt seit 1876 durch den Indian Act vom Staat definiert.  Um als Indianer staatlicherseits anerkannt zu werden, muss man einem der anerkannten Indianerstämme angehören. Ausschlaggebend für die Bestimmung der Stammeszugehörigkeit durch den Staat ist die patrilineare Abstammung, auch wenn die First Nations selber teilweise die matrilineare Abstammung als relevant betrachten.
Am Begriff Status Indian hängt eine Anzahl von Rechten und Ansprüchen gegenüber der Regierung. Diese beziehen sich auf Landrechte, materielle Zuwendungen und Schutz vor Enteignungen. Von den rund 700.000 Menschen, die sich als Mitglieder der First Nations verstehen, zählen etwa 565.000 zu den 617 vom Staat anerkannten Stämmen (Stand: Anfang 2014), von denen allein fast 200 in British Columbia leben. Etwa 133.000 gehören keinem Stamm an, gehören also zu den First Nations und sind dennoch im juristischen Sinne keine Indianer.
Der staatlichen Definitionsgewalt soll mit dem Begriff First Nation ein eigenes Verständnis entgegengesetzt werden. Dieses besteht darin, dass jeder Stamm selbst bestimmt, wer ihm angehören soll, und dass die Anerkennung als Stamm nicht von einer staatlichen Behörde abhängt. Somit gibt es zahlreiche First Nations, die nicht offiziell als Stämme gelten. Gleichzeitig wird der Charakter einer souveränen Nation mit allen Rechten und Pflichten stärker betont. Eine Nation kann sich auf das Völkerrecht berufen, eine ethnische Gruppe nur auf Minderheitenschutz.
Als nationales Repräsentationsorgan fungiert die Versammlung der First Nations. Die Ziele der Organisation sind die Wahrung der Rechte, Vertragsbedingungen und Forderungen der First Nations. Die Anführer der First Nations treffen sich einmal jährlich, um die politischen Richtlinien in Resolutionen festzulegen. Diese Versammlung hat für die First Nations neben der politischen auch eine starke kulturelle Bedeutung.

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